Was geht eigentlich gerade in den USA ab – Gedanken zu transfeindlichen legislativen Entwicklungen

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Beau kommentiert die legislativen Entwicklungen von Trans*-Rechten in den USA und fragt sich, was das mit ihm selbst zu tun hat.

566 Anti-Trans Gesetzesentwürfe. 566. Wenn ich die Seite translegislation.com in einigen Tage aktualisiere, werden es noch mehr sein. Von diesen 566 Gesetzesentwürfen, die sich auf die Bundesstaaten der USA verteilen, sind 125 bereits gescheitert, 83 wurden verabschiedet. Im Gegensatz dazu steht das Jahr 2022 mit „nur“ 174 Gesetzentwürfen (142 gescheitert, 26 verabschiedet). Diese Entwürfe, die sich auf 49 der 50 us-amerikanischen Bundesstaaten verteilen, betreffen alle Aspekte des Lebens einer trans Person – Kontrolle bis hin zur kompletten Unmöglichmachung medizinischer Transition, Verbot des Nutzens öffentlicher Toiletten, Sport-Verbote. Queer.de berichtete, dass sich etwa die Hälfte der Gesetze auf den Schul- und Bildungsbereich beziehen. Üblich sind sogenannte „book bans“, bei denen Literatur, die sich mit queeren, aber auch mit anti-rassistischen Themen beschäftigt, aus Schulbüchereien entfernt werden soll, sowie damit einhergehend häufig der Verbot von Unterrichtsmaterial gleicher Art.
Ein ausführlicheres Beispiel – Oklahoma Senate Bill 129 (in Übersetzung): „Ein Arzt oder eine andere medizinische Fachkraft darf einer Person unter sechsundzwanzig Jahren keine Hilfe zur Gender Transition anbieten. (…) Ein Arzt oder eine andere medizinische Fachkraft, die
wissentlich eine Überweisung für eine Transition ausgestellt oder eine solche durchgeführt hat
an einer Person unter sechsundzwanzig Jahren, macht sich bei
Verurteilung einer Straftat schuldig.“
Eine medizinische Transition bezieht sich meistens auf das Einnehmen von Hormonen und/oder Hormonblockern sowie gegebenenfalls OPs verschiedenster Art (beispielsweise die Mastektomie bei transmaskulinen Personen) und einer Sammlung anderer Maßnahmen (beispielsweise Laser-Haarentfernung). Nicht alle trans und nicht-binären Menschen haben Interesse an einer medizinischen Transition, und nicht jede medizinische Transition sieht völlig gleich aus.
Die ersten Forderungen zur Einschränkung medizinischer Transitionen beschäftigten sich größtenteils mit dem Verbot von (nachgewiesenermaßen reversiblen und sicheren) Hormonblockern bei Jugendlichen. Diese ermöglichen ein verschobenes Einsetzen der Pubertät und schaffen Bedenkzeit für die jungen Menschen, um herauszufinden, was sie möchten und wie sie sich gegenüber ihrem Körper fühlen.
Inzwischen hat sich der Diskurs so verschärft, dass wie in Bill 129 beschrieben Erwachsenen bis zum Alter von 26 Jahren die Transition völlig verweigert werden soll, unter Androhung von Strafe für das medizinische Personal. An anderer Stelle geht der Gesetzestext noch darauf ein, dass keine staatliche Krankenkasse Transitions-Maßnahmen bezahlen darf. So verschiebt sich der Diskurs. Ein höheres Alter als 26 für die „Erlaubnis“ der Transition hat bisher niemand vorgeschlagen – aber wenn es kommt, werde ich nicht überrascht sein. Bis irgendwann der komplette Verbot medizinischer Transition in einem Gesetzesvorschlag auftaucht. Diese Gesetze stellen sich komplett gegen den medizinischen Konsens. Auch in der USA bezeichnet beispielsweise die American Medical Association medizinische Transitions-Maßnahmen für die, die sie wollen, als notwendig.
Auf der Conservative Political Action Conference 2023 sagte der Kommentator und Autor Michael Knowles: „Beim Umgang mit Transgenderismus [sic] kann es keinen Mittelweg geben. (…) Wenn es falsch ist, dann muss Transgenderismus zum Wohle der Gesellschaft (…) vollständig aus dem öffentlichen Leben getilgt werden.“
Weißt man Knowles auf die extreme menschenfeindliche Natur seines Statements hin, kommt man nicht besonders weit, denn er macht einen Unterschied machen zwischen „Transgenderismus“, der angeblichen „Ideologie“, und Einzelpersonen, eine argumentative Masche. Wenn Menschen wie er von der Auslöschung von „Transgenderismus“ sprechen, ist klar, was – oder eher wer – damit gemeint ist. Trans Menschen gelten als Anhänger*innen einer angeblich gefährlichen „Ideologie“, die als aktive Gefahr wahrgenommen wird und gegen die sich verteidigt werden muss. Diese Rhetorik kritisiert das Lemkin-Insitut für Genozid-Prävention folgendermaßen:
„Das Lemkin-Institut möchte betonen, dass Genozid ein Verbrechen gegen Gruppenidentitäten und nicht gegen einzelne Menschen ist (…). Ein offensichtlich überzeugter Transphobiker wie Knowles könnte glauben, dass Transgender-Menschen nicht real sind und stattdessen durch etwas namens „Transgenderismus“ in die Irre geführt werden, so dass er mit der Ausrottung von „Transgenderismus“ keine reale Identität auslöschen würde. Zu diesem Gedankengang können wir nur anmerken, dass die Arroganz, zu bestimmen, welche Identitäten real sind und welche nicht, und somit zu bestimmen, welche Identitäten ausgelöscht werden können, bereits ein großer Schritt in Richtung Genozid ist. Sobald eine Identität als illegitim, kriminell und bedrohlich eingestuft wird, ist es mit der Tötung von Menschen mit dieser Identität nicht mehr weit her.“
Natürlich ist Michael Knowles noch nicht über alle Maßen bekannt, und zweifelsohne werden viele der 566 Gesetzentwürfe scheitern. In einigen Bundesstaaten existieren erst sehr wenige Anti-Trans Vorschläge, sowie „erst“ 31 auf Bundesebene, gegenüber denen der derzeitige Präsident Biden bisher nicht zu offen zu sein scheint.
Was diese Masse an Gesetzesentwürfen jedoch demonstriert, ist der Umschwung des gesellschaftlichen Klimas und die Diskurshoheit von Transfeindlichkeit. Konservative und Rechts-Populist*innen, die sich profilieren möchten, schmücken sich mit uns, dem neuen „Hot Topic“. Diese Diskursmacht entstand natürlich nicht erst gestern, sondern resultiert aus einer jahrelangen, mal untergründigen, mal offensichtlichen Kampagne eines explosiven politischen Zusammenschlusses aus ebenjenen rechtspopulistischen Stimmungsmacher*innen, ihren Geldgebenden, fundamentalistischen christlichen Organisationen sowie TERFs. (Diese Allianz und ihre Geschichte muss man noch viel gründlicher analysieren, als ich es in diesem Artikel angehe.)
All das aufzuschreiben, so emotionslos wie möglich, sich durch diese stumpfen Gesetzestexte zu wühlen, die sachlich die komplette Zerstörung der eigenen Menschengruppe propagieren – am Ende, nach all der Angst und der Wut stoße ich auf dem Grund meines Seins auf eine einzige Frage: Warum? Ich möchte nicht zu tief in die Psychologie der Menschen hinter diesen Gesetzesvorschlägen eindringen. Da ist kalter Opportunismus – Anti-Trans-Gesetze verkaufen sich sozusagen gut. (Ob sie wirklich zu so viel mehr Wählerstimmen führen, bleibt abzuwarten.) Da ist Angst, der Gedanke, dass diese trans Menschen zu einem nach Hause kommen, die Kinder „verwandeln“, das Fenster mit Graffiti beschmieren und gleich noch die Reifen des Benzinerns zerstechen.
Dann, je länger ich schreibe, je länger ich darüber nachdenke, gerate ich mit mit mir in Zwiespalt. Natürlich möchte ich einfach nur mein Leben als trans Person leben, in Ruhe gelassen werden, ohne Probleme ins Krankenhaus oder auf eine öffentliche Toilette gehen können wie andere auch. Assimilation, „normal sein“, nicht auffallen, das alles reizt, und oft baue ich auf mein Passing, um einen angenehmeren Alltag zu haben, ohne Übergriffe und Belästigung. Aber abseits dieses Bedürfnisses nach persönlicher Sicherheit stehen meine politischen Ansprüche. Die gesellschaftlichen Zwänge, die uns das Geschlecht, das uns bei der Geburt zugeordnet wird, aufdrückt, möchte ich loswerden, für cis Männer und cis Frauen genauso wie für trans Menschen und nichtbinäre Personen. Ich kann schlecht dafür argumentieren, dass man mich als trans Mensch nur in Ruhe zu lassen braucht, weil ich ja „niemandem etwas tue“ – das wäre der ultimative Rückzug ins Private. Ich will eben nicht, dass alles bleibt wie es ist. Ich wünsche mir vollständige geschlechtliche Selbstbestimmung ohne Diskriminierung und die Möglichkeit, unsere Körper so zu verändern, wie wir es uns wünschen; und wenn konservative oder rechtspopulistische Kräfte diese Wünsche als Angriff auf ihr fragiles Lebensmodell sehen, dann weil sie so gemeint sind. Aber im Gegensatz zu ihnen hege ich keine Auslöschungsfantasien – ich möchte, dass Menschen sich frei dazu entscheiden können, wie sie leben wollen, und all ihre Möglichkeiten kennenlernen dürfen.
Eigentlich wollte ich in diesem Artikel auch über Großbritannien schreiben, über Uganda. Am Ende ist es doch nur wieder die USA geworden, die sicher unsere Berichterstattung bereits ausreichend dominiert. Angesichts der Lage in all diesen anderen Staaten erfüllt mich ein Gefühl der Ohnmacht. Sicher, ich kann an entsprechende Organisationen spenden, ich kann auf das Unrecht aufmerksam machen, und natürlich in Deutschland aktivistisch tätig sein, damit die diskursive Welle der Transfeindlichkeit (die bereits merklich das Selbstbestimmungsgesetz beeinflusst hat) nicht noch zu einem schlimmeren gesellschaftlichem Klima führt. Die Kraft zu finden und all das zu tun, ist zweifelsohne wichtig, doch meine Gedanken halten sich an all die Menschen, die jetzt gerade von diesen neuen Gesetzen unterdrückt werden, die einzelnen Personen, deren Namen ich nicht kenne und denen ich nicht helfen kann, wie ich meinen Geschwistern gern helfen würde. „Wenn sich die Welt so für einen interessiert, fragt man sich schließlich, ob man nicht etwas Seltenes und Kostbares an sich hat – wie sonst ließe sich erklären, dass alle Bewegungen, die der Freiheit den Tod wünschen, so genau wissen wollen, was wir mit unseren Identitäten (…) anfangen?“ fragt Virginie Depentes. Auf Gesetze, auf die Polizei ist kein Verlass, um uns zu schützen. Aber wir sind wertvoll, und wir müssen uns selbst beschützen. Als Community gemeinsam lernen, gemeinsam auf die Straße gehen, gemeinsam zu Ärzt*innen gehen. Aber genauso gemeinsam trauern, um die, die nicht mehr bei uns sein können.

Ich bin Beau, 24, und arbeitete als Dokumentarfilmer, Fotograf und freier Autor. Ich hege ein besonderes Interesse für Landschaft und Kulturgeografie, aber auch für transfeministische queere Medien aller Art, besonders Videospiele und Pen & Paper Games. Ursprünglich komme ich aus Mittelthüringen, habe in Hildesheim Szenische Künste studiert und lebe jetzt auf dem Land in der Nähe von Göttingen.