Das unterdrückte Gefühl

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Wut will gelernt sein. Während cis-Männer die Disziplin des Wütend-seins meistern, müssen viele Flinta* noch trainieren sie zuzulassen. Ein Text über den (fehlenden) Mut zur Wut von Kira.

Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Dankbarkeit, Zuneigung, Vertrauen, Freude und Liebe, das sind Emotionen, die ich meistens ohne weiteres an mich heranlasse. Ich lasse sie zu und lebe sie aus –auf meine eigene Art. Auch Trauer oder Angst kann ich annehmen und mich auf sie einlassen – zumindest meistens. Denn Gefühle sind auch überfordernd und nicht immer weiß ich mich zu verhalten, wenn sie in mir aufkommen. Manchmal verstecke ich mich vor ihnen oder übergehe sie, manchmal drücke ich sie weg oder lasse sie mich nur zueinem Teil kontrollieren.
Doch es gibt ein Gefühl, vor dem ich mich fürchte und mich nicht drauf einlassen kann, mit dem ich noch keinen Umgang gefunden habe. Doch immer wieder kommt es in mir hoch, kocht es auf, brodelt es fast über. Dann beiße ich meine Zähne fest zusammen, ziehe meine Schultern hoch, rege mich allein für mich im Stillen auf, fühle mich unwohl. Dann zweifle ich an mir, fange an zu schwitzen, ich verstumme. Dann wandle ich das Gefühl oftmals in ein anderes um, ich flüchte michin Traurigkeit. Je mehr ich mir wünsche zu schreien, meine Stimmezu erheben, für mich oder für andere einzustehen, desto leiser werde ich. Dann schwinden meine Argumente, sie scheinen mir unerreichbar, so kann ich keine Diskussionen führen, ich ziehe mich zurück. Meine Stimme bricht, der Kloß im Hals wächst, ich fühle mich schwach.
Das Gefühl, das ich meine, ist Wut.
Wenn ich zurück denke an meine Kindheit und Jugend, dann kann ich mich kaum an Momente der Wut erinnern. Schockiert, traurig, empört, erschrocken, niedergeschmettert, einsam – das ja. Auch erinnere ich mich an Situationen, in denen ich mich nicht gehört oder verstanden gefühlt habe, in denen ich oder andere ungerecht behandelt wurden, Momente der Hilf-und Machtlosigkeit, Augenblicke des Ärgers und des Genervt Seins. Aber wirkliche, pure Wut? Ich erinnere mich nicht. Erinnere ich mich nicht, weil es keine Wut gab, weil ich sie schon immer runtergeschluckt habe?
Wütende Menschen verlieren die Kontrolle, sie geben sich dem Gefühl hin, lassen sichtragen, gehen in der Emotionunter und reißen einiges um sich herum mit in die Tiefe. Vielleicht ist es die Angst vor diesem Abgrund, die Angst vor diesem Kontrollverlust, die mich nicht einmal nah an den Abgrund heranlässt, die mich nicht mal einen Blick in die Tiefe wagen lässt. Die Angst übertrumpft, besiegt die Wut immer wieder aufs Neue. Kontrollverlust, sich gehen lassen, Grenzen nicht wahren, Anpassungen sprengen, negativ auffallen, laut sein, zerstören, schreien und fluchen – sich von dem vermeintlich Bösen leiten lassen ist unweiblich. Wut ist unweiblich. Und gleichzeitig habe ich als Frau so viele Gründe wütend zu sein. Immer dann, wenn ich Erfahrungen mit diskriminierendem Verhalten von FLINTA* höre, wenn ich selbst sexistische oder übergriffige Erfahrungen mache oder an Vergangene denke, wenn ich Fakten und Statistiken lese, wenn ich mitbekomme, wie Grenzen überschritten werden, wenn ich die Angst von FLINTA* spüre, wenn ich merke, wie sie sich fühlen und höre, was sie sagen-Immer dann hinterlässt es mich fassungslos, eigentlich wütend. Doch ich wandle das Gefühl lieber um, sodass ich eben traurig werde oder stumm. Dabei muss Wut doch gar nicht unkontrolliert und hässlich sein. Wut muss nicht mit einem tiefen Abgrund einhergehen. Wut kann auchkämpferischsein, sie treibt uns an und bringt uns weiter, sie ist ein Motor, sie mobilisiert und befreit. Wütende FLINTA*sind stark, durch Wut kann altes zerstört und Neues erreicht werden, Wut führt zu Veränderung.
Genau diese Veränderung wird jedoch gefürchtet. Im Patriachat hat diese Wut keinen Platz, sie muss verhindert werden, um das Patriachat erhalten zu können. Verständnisvoll sein, lieb, zart und anpassungsfähig, das ist, was die Gesellschaft von mir erwartet. Doch lieb und konfliktscheu lässt sich eine Konfrontation nicht gewinnen und schon gar nicht mit einem Mann, mit Menschen, die das Werkzeug Wut perfekt beherrschen. Es ist Wut, die als Reaktion auf jegliche Form von Gewalt folgt, folgen sollte, die aber eingesperrt, verdrängt, unterdrückt wird. Wie kann ich eine Konfrontation, einen Kampf gewinnen, den Mut finden diesen Kampf überhaupt einzugehen, wenn ich die Disziplin nicht einmal verstehe? Vor allem Männern gegenüber, die das Handwerk, die Disziplin der Wut schon seit klein aufüben und den Umgang beherrschen, kann ich der Wut keinen Raum geben. Vielleicht weil Gewalt und Wut so oft in einen Topf geworfen werden, obwohl sie gar nicht zwingend zusammengehören. Weil ich Angst habe, den Kampf zu verlieren, geschlagen zu werden, gehe ich ihn gar nicht erst ein. Das, was mir die Gesellschaft eingesteht und von mir erwartet, ist das Verständnis, das Zuhören, das Nachgeben, das Leise Sein und das in den Hintergrund rücken. Doch dieses Handwerk gewinnt nicht.
Meine Wut versteckt sich immer wieder hinter Ohnmacht. Wut, die eigentlich so stark ist, mich aber so schwach fühlen lässt. Ich bin so in patriarchalen Strukturen gefangen, dass ich im Kampf gegen genau diese Strukturen, von ihnen eingeschränkt werde. Wut ist ein hässliches Gefühl, eins was mir die Kontrolle entreißen könnte – über mich und auch mein Aussehen. Wut kann hässlich sein. Die Angst vor der Wut lässt mich verstummen: wie klinge ich, was kommen für Worte aus mir heraus? Ich habe Angst davor gehört zu werden, Angst davor aufzufallen. Ich habe Angst davor meine Wut zu spüren, Angst vor mir selbst. Wie kann ich dieses starke Gefühl zulassen, wenn es mich so schwach werden lässt? Sie ist mir so schwer zugänglich, dass ich sie oft schon im Keim ersticke. Was ist, wenn ich doch wütend werden würde? Wäre ich dann nicht hysterisch, zu laut, zu viel, unkontrolliert, peinlich, unangenehm?
Orte, an dem die Wut immer präsent ist, sind Demos. Ich liebe die Stärke und die Energie, die durch eine Demo bei mir ankommt. Ob bei einem Klimastreik, einer Soli-Demo für die Menschen im Iran oder einer Kundgebung gegen Putins Krieg – die Wut und dadurch freigesetzte Energiestecken mich an, die FLINTA* um mich herum inspirieren mich. Ich möchte Demo-Sprüche rufen, die Wut herausschreien, glaube, dass es sich befreiend anfühlt. Doch anstatt, dass ich die Wut zulasse, kommt wieder die Angst, die Scham komisch zu klingen, etwasfalsch auszusprechen, die Angst davor gehört zu werden, obwohl ich das doch gerade hier möchte – oder? Dann lächele ich andere wütende FLINTA* an und möchte sie in ihrem Gefühl bestärken. Ich bewundere wütende FLINTA* und möchte ihnen meine Solidarität aufdiese Weise ausdrücken. Es fühlt sich so an als könnte ich meine Wut, die in mir steckt durch ein Lächeln, durch die Anerkennung ihnen gegenüber, ausdrücken. Es scheint ein Ventil für mich zu sein.
Liebe FLINTA*, ich stehe Seite an Seite mit euch, ich spüre eure Wut, eineWut, die eigentlich auch meine ist. Bis ich es schaffe meine Wut zu zulassen, ihr den Raum zugeben, den ich ihr wünschen würde, liegtnoch ein weiter Weg vor mir.Ich seheeuch, ich höre euch zu, ich bin da. Und doch bin ich (akustisch)leise –zumindest noch.

Mein Name ist Kira (23). Ich bin in Hamburg aufgewachsen und schließlich für das Studium der Sozialen Arbeit nach Kiel gezogen. Besonders interessiere ich mich für feministische Themen und ergründe gerne alles rund um den Begriff der Weiblichkeit. Seit ich schreiben kann halte ich meine Gedanken auf dem Papier fest. Das Grübeln über Feminismus und die Vorstellungen von Weiblichkeit(en) versuche ich seit einiger Zeit mit dem Schreiben zu verknüpfen. Ich bin sehr glücklich darüber einen Ort in meinTestgelände gefunden zu haben, an dem ich meine Gedanken teilen darf.