Es ist mir egal, dass du einer von den Guten bist

2017_01_10

Der Kampf gegen den Sexismus ist ein langer, zäher und schwerer.
Neben den eindeutig danebengegriffenen, sexistischen Aussagen mancher Werbeagenturen oder des ein oder anderen Präsidenten, gibt es da aber auch immer noch die Männer und Jungs in meinem Umfeld, die ich eigentlich sehr gerne mag und die eigentlich auch „eh keine Arschlöcher“ sind. Trotzdem passiert es von Zeit zu Zeit, dass sie sich sexistisch äußern oder etwas tun, das mich an zu viel Schlechtes erinnert. Und wenn ich sie darauf hinweise, kann es auch passieren, dass sie beleidigt sind oder es übertrieben von mir finden. Für alle, denen das manchmal passiert und die gern verstehen wollen, und speziell für den Mann, der neulich zu mir meinte, ich sei zu empfindlich und man könne es auch übertreiben, er habe es ja nur gut gemeint, außerdem sei er einer von den Guten, ist dieses Gedicht:

Warum ich es manchmal einfach übertreibe, zu empfindlich bin und es mir egal ist, dass du einer von den Guten bist.
Du setzt die Grenzen fest für die Welt,
das hast du so gelernt.
Du bist der Atlas, der den Globus hält,
von dem sich die Sonne nie zu weit entfernt.
Um deine Gefühle drehen sich Planeten,
um deine Würde ein Grundgesetz,
man kämpft für dich mit Gewehr und Macheten,
hat man dich gekränkt oder ohne Grund verletzt.

Du bestimmst, was zu weit geht,
wie viel zu viel ist und auch, was nicht reicht,
du legst das Thema fest und das, was mir frei steht,
und nur wenn du es zulässt, dann bin ich auch frei.
Du hältst mich aus und duldest meine Wut,
du bist bereit, mit mir zu diskutieren,
denn du findest wütende Mädchen gut,
und für dich nicht gut zu sein, will ich nicht riskieren.

Du stehst auf eigenständige, freie Menschen,
die auch mal ihre Meinung sagen,
du setzt dich für Minderheiten ein und gegen Grenzen,
in deiner Gegenwart darf ich es sogar wagen,
dich höchst selbst vorsichtig zu kritisieren,
du kannst damit umgehen, du bist reflektiert.
mir wird ganz sicher nichts Schlimmes passieren,
nur gesellschaftlich werde ich vielleicht sanktioniert.

Du bist kein Arschloch, du bist einer von den Guten.
Das rufst du mir in Erinnerung,
trifft dich ungerechtfertigt meine Wut, denn
ich sollte nach außen hin kämpfen, nicht innen rum.
Wenn ich nicht sehe, wie gut du es meinst,
was eigentlich deine Absicht war,
dann muss ich taub und blind und geistesgestört sein,
ich muss doch merken, dass das keine Absicht war.

Du bist auf meiner Seite, du beleidigst mich nicht.
Und manchmal mischt du dich sogar ein,
oft publikumswirksam, doch schon gut, ich beschwer mich ja nicht,
man kann wohl nur entweder oder sein.
Und da sollte ich dankbar sein, dass du oder bist,
auch wenn du manchmal keine Lust darauf hast,
und in mancher Gesellschaft deine Haltung vergisst,
oder nur wenig nach unten, aber noch Luft rauf hast.

Du ahnst gar nicht, welche Macht du besitzt
und welches Glück, deine Kämpfe wählen zu können,
mein Freund, der du bequem auf deinen Privilegien sitzt,
du kannst problemlos Erlebtes von Erzähltem trennen.
Denn du musstest niemals, nicht ein einziges mal,
die Blicke aushalten, die ich täglich spüre,
du musst dich nicht entscheiden, denn ist´s dir egal,
hast du ganz persönlich nichts zu verlieren.
Wenn du dich einsetzt, wirst du noch gefeiert,
als ob das nicht ganz selbstverständlich wäre.
Und fasst man dich nicht an wie rohe Eier,
tust du noch als müsste es mir eine Ehre
sein, dich auf meiner Seite zu wissen,
und eine Zumutung, dich jetzt zurechtzuweisen,
immerhin verhältst du dich meist höchstens halb beschissen,
du hast Recht, man kann es auch echt übertreiben.

Du hast nicht die Erfahrung machen müssen,
schon mit zwölf kindlichen Jahren,
ohne von der Bösartigkeit von Menschen zu wissen,
umgeben zu sein von Gefahren.
Du hast nie die Hand eines Fremden
auf deinem kindlichen Körper gespürt,
der dir von einer Sekunde auf die andere im völlig enthemmten
Zustand deine Mitschuld suggeriert.
Du hast nie ein Lieblingskleid in den Schrank verbannt,
weil an ihm Worte wie „sexy“ und „aufreizend“ klebten,
weil man dich in diesem Kleid als Opfer erkannt
hat und mit ihm von nun an Angst und Schuldgefühl lebten.
Du hast nie überlegen müssen, ob du davon berichtest,
weil du dachtest, vielleicht gibt man dir die Schuld,
und als du es tatst, erwies deine Angst sich nie als richtig,
doch ich seh schon, mein Freund, ich strapazier deine Geduld.
Denn du hast nie gelernt darauf zu warten, gehört zu werden,
deine Meinung war immer schon wertig.
du brauchtest nie weitere Hosen oder engere Röcke, um ernstgenommen zu werden,
du ziehst dich morgens an und bist fertig.
Und siehst noch nicht mal,
Scheiße, bist du privilegiert,
du hattest eben immer schon die Wahl,
ob man sich heut einsetzen soll oder Unrecht ignoriert.
Denn ob dieser Vorwurf stimmt,
bestimmst immer noch du.
Und welches Recht mir die Gesellschaft nun wirklich nimmt,
erfahr ich spätestens, hör ich dir weiter zu.

Du hast keine Ahnung wie das ist, wenn man Todesangst hat,
sobald man allein auf einer öffentlichen Toilette ist,

stattdessen hast du meine ständige Thematisierung satt,
weil dir das in deinem Umfeld echt noch nicht aufgefallen ist.
Gratuliere, mein Freund, denn das bedeutet auch,
du konntest nachts heimgehen ohne verkrampft das Handy in der Hand,
ohne Deo statt Pfefferspray in der andern und Krämpfen im Bauch,

ohne die Panik, wenn auf deinem Weg nach Hause irgendwo einsam ein Auto stand.
Du hast deinen Freunden nie SMS geschrieben,
sobald du sicher angekommen warst,
und bist wahrscheinlich selten die ganze Nacht aufgeblieben,
wenn eine nicht zurückschrieb, während dein Herz wild raste.
Du hast die Welt bereist und auf Couches gepennt,
bist in Autos mitgefahren und hattest höchstens Angst, dass dich jemand bestiehlt,
kein nettes Gespräch endet damit, dass dir ein Typ nachrennt,
oder dir plötzlich Bilder seines Geschlechts unter die Nase hielt.
Auf deinem Schulweg stellte sich dir kein Mann in den Weg,
kein Lehrer hat dir je in den Ausschnitt gestarrt,
auf Facebook sind Dick-Pics nicht gerade die Regel
und in der Bahn sitzt dir keiner gegenüber und wird hart.
Man pfeift dir nicht nach
und nein, das ist keine Kompliment,
man ruft dich nicht Schlampe und fragt,
bevor man dir einfach so deine geschätzte Körbchengröße nennt.
Auf deine Kosten wurden selten Witze gemacht,
du musstest dich nicht für jede Äußerung rechtfertigen,
und wenn ich dir nun sage, dies oder jenes war unangebracht,

dann kannst du mich ungestraft mit einem „Du bist zu empfindlich“ abfertigen.
Denn du bestimmst, worüber wir sprechen
Ärgern darf mich nur, wen wir gemeinsam hassen,
Passt´s dir nicht, kannst du es jederzeit abbrechen.
in letzter Konsequenz muss ich mich auf deine Bereitschaft verlassen,
denn du bestimmst, was du sehen willst,
und ob du meine Erfahrungen ernstnehmen möchtest,
ob das was mit dir zu tun hat, oder ob ich still
sein soll, wenn´s dir grad zu viel oder nicht recht ist.
Deine Komfortzone bleibt so lange unangetastet,
solange du annimmst, du wüsstest schon alles.
solange meine Kritik nur an deinem Ego tastet
und auch nur ´ne Meinung ist im Falle des Falles.

Du kannst es gut finden, dass ich diesen Text hier performe,
aber du könntest auch selbst einen verfassen,
du könntest einsehen, dass das keine enorme
Forderung ist, sondern das, was jeden Tag auf mir lastet.
Du kannst etwas sagen und das mega gut gemeint haben
aber du könntest auch zuhören, wenn ich sag, es war kontraproduktiv,
dann könntest du für deine Äußerung die Verantwortung tragen
und dafür, was dank deines Jokes in den Köpfen ablief.
Du kannst sagen, DU bist ja nicht so
Doch könntest auch verstehen, dass ich dir da misstrau,
und dann könntest du vorsichtiger sein als sowieso
zuhören, wenn ich sag: Hör doch! Und hinsehen, wenn ich sag: schau!
Du kannst sagen, ich übertreibe es,
Aber du könntest dich auch fragen, warum mir das so wichtig ist,
Du kannst sagen: Ich bin dieser Meinung und bleibe es!
Aber du könntest auch überlegen, ob das wirklich richtig ist.
Meine Empfindlichkeit kommt nicht von irgendwoher,
und deine Befindlichkeit steht nicht über allem,
ich wäre ja still, wenn das alles kein Problem für mich wär,
aber es ist eins. Und das zu bekämpfen ist mir mehr wert als dir zu gefallen!

 

Mehr dazu: 

Ich bin Fee aus München und Poetry Slammerin. Bei meinTestgelände schreibe ich mit, weil ich mich unter anderem für genderspezifische, feministische Themen interessiere und dazu eine Meinung habe, mit der und über die ich gerne diskutiere.

Kommentare

  1. Danke

  2. Vielen Dank für diese Worte!

  3. So wahr!

  4. Danke für den Text. Sehr schöne Analyse dessen, was man leider auch häufig in linken und eigentlich antisexistischen Kontexten findet nämlich mangelnde Selbstreflexion, weil man ja nach außen gemeinsam für die "richtigen" Themen einsteht. Wie diese Themensetzung geschieht und welche Personen die Dynamiken in der Gruppe wie prägen ist da meist unterbeleuchtet.