Als am 12. Juni 2016 der queere Nachtclub Pulse in Orlando zur Zielscheibe eines Attentates wurde, bildeten sich weltweit spontane Mahnwachen. Der Attentäter hat Menschen getötet, verletzt und einer ganzen Community das Gefühl genommen, zumindest in selbstgeschaffenen Räumen sicher zu sein.
12. Juni 2016. Orlando, Florida. Im queeren Nachtclub Pulse findet die allwöchentliche Latin Night statt. Zu lateinamerikanischer Musik tanzen hunderte Menschen, die in ihrer Vielfalt vor allem darin verbunden sind, hier einen geschützten Raum gefunden zu haben, wo sie ohne die üblichen Vorurteile sie selbst sein und Spaß haben können. Einige sind vielleicht zum ersten Mal in einem queeren Nachtclub und fühlen den Rausch, sich nicht verstecken zu müssen. Einige sind vielleicht schon sehr betrunken. Einige hoffen, für den Rest der Nacht jemanden zu finden. 58 werden verletzt. 49 sterben.
Es gibt viele Attentate, die uns erschüttern und berühren. Es gibt viele Attentate, die angesichts dieser stumpfen Gewalt die Frage aufwerfen, warum. Mich persönlich hat kein Attentat so sehr emotional aufgewühlt wie das Orlando-Shooting – auch jetzt noch.
Am Tag nach dem Attentat hat die Dortmunder Community spontan eine Mahnwache organisiert. Jedem, der da war, konnte man die Betroffenheit anmerken. Zwei etwa 15-jährige Mädchen hielten sich einander fest. Die Tränen flossen. Ihre Gesichter waren rotgeweint. Um ihre Schultern hing eine große Regenbogenflagge, in die sie schützend wickelten wie eine Decke. Ich fragte mich, was die Mädchen selber erlebt hatten, dass ihnen der Attentat so nahe ging. Das Bild ist hängengeblieben.
Ich halte es fest.
Jemand hat mich einmal gefragt, warum ich mich denn so viel für queere Menschen in Deutschland einsetze. Immerhin investiere ich viel Zeit da rein, aber habe doch selber seit Jahren eine heterosexuelle Beziehung. Und in Deutschland haben es die Homos doch ganz gut. Viele Rechte und niemand muss um sein Leben fürchten.
Ich wollte ihn fragen, ob er schon einmal eine Nacht nicht geschlafen habe. Ob er schon mal eine Nacht nicht geschlafen habe, um eine Hand zu halten, weil bei seinem Gegenüber die immer wieder gleichen Gedanken wiedergekommen sind. „Ich bin falsch. Ich bin falsch. Ich bin falsch. Ich kann das nicht mehr. Ich kann das alles nicht mehr.“
Diese Nächte gibt es auch in Deutschland. Immer noch viel zu oft. Genau wie die Geschichten von Jugendlichen, die nach ihrem Coming-Out von zu Hause raus mussten. Oder ins Krankenhaus. Gerade jetzt beim Schreiben dieses Textes wurde mir wieder so eine Geschichte erzählt.
In ihrem Kern geht es bei der Regenbogenflagge und dem Bild der zwei Mädchen für mich aber nicht um die Verfolgung und den Hass und die Gewalt und all das Schlechte, das es noch viel zu oft auf der Erde gibt.
Für mich geht es um Menschen, die sich umeinander kümmern und für einander da sind. Um unterschiedliche Identitäten, die voneinander lernen. Um den Mut, zu sich selbst zu stehen und sich selbst zu lieben und eine Gemeinschaft, die einem das beibringt. Um Solidarität mit Menschen, die vielleicht geographisch weit weg sind, mit denen man sich aber trotzdem verbunden fühlt.
Das heißt nicht, dass die Community nicht ihre Fehler hat. Auch dort findet man zum Beispiel viel zu oft Rassismus und Transfeindlichkeit an. Aber das heißt nur, dass wir nicht aufhören dürfen, an uns zu arbeiten.
Und vor allem geht es um dieses eine Wort, dass man schon so oft in diesem Zusammenhang gehört hat, dass es schon fast seine Bedeutung verliert, aber trotzdem noch immer wichtig ist: Stolz. Stolz auf uns. Stolz auf den Mut, man selbst zu sein. Stolz auf die Menschen, die trotz aller Widerstände Rechte und Räume erkämpft haben. Stolz, dass wir einen Ort haben an dem wir weinen können, uns gegenseitig halten können und dass dabei eine Flagge auf unserer Schulter liegt, die keinem Staat gehört, sondern uns.
Mehr dazu:
- Der Kurzfilm „ORLANDO – We will never forget you“ will ein Zeichen gegen das Vergessen und den Übergang zur Normalität setzen.
- Eine Anleitung der Story Teller, wie es funktioniert, anderen Menschen gegenüber tolerant zu sein.