In dem Buch „Aus Angst wächst Mut“ erzählen 19 junge Menschen sehr persönliche Geschichten, die sie in der Vergangenheit beschäftigt haben. Der heutige Text stammt von Mustafa, dem seine Lehrerin nicht zutraute als Junge mit Migrationshintergrund einen wissenschaftlichen Text zu verfassen und als er es doch tat, unterstellte sie ihm er hätte die Arbeit nicht selbst geschrieben.
Von Mustafa Jassem
„Du willst tatsächlich über dieses Thema schreiben?“ „Ja, das will ich in der Tat. Ich kenne mich in diesen Bereich gut aus und weiß, mit welchen Methoden darin gearbeitet wird.“ „Dann kannst du mir doch sicherlich die Begriffe `Partizipation´, `sozialer Raum´ und `Erinnerungskultur´ erklären!“
Ich kam mir in dieser Situation einfach lächerlich vor. Sie wollte mich nicht ernstnehmen und mich vor meinen Mitschülern als ahnungslosen „Kanaken“ hinstellen. Nach einer kurzen Diskussion gab sie mir die Aufgabe, mir Leitfragen zu überlegen, mit denen ich mich in der Arbeit beschäftigen sollte. Einige Tage später stellte ich ihr mein Konzept erneut vor: neben den geforderten Leitfragen auch meine Erfahrungen mit vergangenen Modellprojekten. Ausführlich erklärte ich ihr, wie ich das gerne strukturieren würde. Anschließend schlug sie mir eine Quelle zum Thema vor und schon war unser Gespräch vorbei.
Einige Wochen danach musste ich die Gliederung meiner Arbeit bei meiner Fachaufsicht vorzeigen und von ihr überprüfen lassen. Ich hatte mir wirklich viele Gedanken gemacht und war auch etwas stolz auf das Konzept. Aber statt Anerkennung und gute Anregungen zu geben stellte sie wieder meine Ergebnisse in Frage. „Empowerment schreibt man doch mit `N`“, sagte sie und ihre ganze Haltung brachte zum Ausdruck, dass sie mich wieder als unwissend hinstellen wollte. Ich war so geschockt, dass ich mich von ihr einschüchtern ließ. Statt zu widersprechen stimmte ich ihr bei all meinen „Fehlern“ zu, um jede weitere Komplikation zu umgehen. Schließlich war ich ja von ihr abhängig.
Aber von dem Zeitpunkt an fing ich auch an, mir die Frage zu stellen, ob das alles so normal war. Eine pädagogische Fachkraft, die sich offensichtlich nicht in dem Bereich auskannte, mit dem ich mich in meiner Arbeit beschäftigte? Und die mir trotzdem weismachen wollte, dass ich keine Ahnung hatte?
Einen Monat vor der Abgabe der Arbeit musste ich der Lehrerin eine Rohfassung einreichen. Anfangs dachte ich, unter Rohfassung wäre eine kurze Wiedergabe des Inhalts zu verstehen. Doch dieses Missverständnis musste ich bitter büßen. Sie wurde wieder stinkig, weil ich die Rohfassung nur auf einer Seite verfasst hatte. Statt sich nun mit dem Inhalt meiner Zusammenfassung auseinanderzusetzen und diese zu kommentieren, forderte sie mich auf, ihr innerhalb der darauf kommenden drei Tage mindestens drei ausformulierte Teilkapitel zu liefern.
Da ich schon lange weitergearbeitet hatte, konnte ich ihr am folgenden Schultag nicht nur die geforderten drei Teilkapitel geben. Natürlich hatte sie wieder etwas zu kritisieren. Sie warf mir vor, ich würde Wörter bzw. Formulierungen verwenden, die ich selber nicht verstehe und so weiter. Ich solle gefälligst Fußnoten mit den Quellenangaben verwenden, sonst würde sie meine Arbeit nicht akzeptieren. Generell kamen ihr meine Formulierungen nicht „normal“ vor, weil eine zu große Diskrepanz zwischen der Facharbeit und meinen „sonstigen“ Klausuren bestehen würde. Bei jeder Gelegenheit und egal auf welche Argumentationsweise stempelte sie mich als einen der betrügt und ahnungslos ist ab.
Bevor die Ferien begannen, gab ich die Arbeit ab und sollte sie eigentlich vier Wochen danach wiederbekommen, so wie meine Mitschüler auch. An diesem Tag rief sie alle anderen außer mir der Reihe nach auf, die ebenfalls bei ihr eine Arbeit abgegeben hatten. Mich, sagte sie, wolle sie am Ende der Stunde allein sprechen. Warum möchte sie mich alleine sprechen? Und was hat das mit meiner Facharbeit zu tun? Beide Fragen bohrten sich in meinen Kopf hinein und wollten diesen nicht mehr verlassen. Es fühlte sich nicht gut an und ich merkte, dass ich zu keinen anderen Gedanken mehr fähig war. Endlich klingelte es zur Pause. Meine Mitschüler verließen das Klassenzimmer. Mein Tischnachbar nahm seine Butterbrote aus seinem Rucksack heraus, klopfte mir beim Herausgehen auf die Schulter und flüsterte: „Viel Glück, Alter!“ Nachdem alle den Raum verlassen hatte, stand meine Lehrerin auf, kam auf mich zu, stellte sich wie eine zu Fleisch gewordene Statue der Justitia vor mir auf uns sagte: „Entweder du gibst zu, dass du diese Arbeit nicht eigenständig geschrieben und Hilfe gehabt hast. Dann gebe dir dafür eine 4. Oder du gibst es nicht zu und wir müssen das mit einem wissenschaftlichen Gespräch überprüfen!“
In diesem Augenblick brach ich innerlich zusammen. Ich war vollkommen sprachlos, während sie mich eindringlich und angespannt anschaute. Das Zittern von meinen Füßen spürte ich bis zu meinen Knien. Dieses miese Gefühl der Unterlegenheit und der Ohnmacht ging mir bis zum Hals, denn ich wusste einfach nicht, wie ich mich gegen diese Art des Niedermachens wehren sollte. Immerhin hatte ich ja diese Arbeit wirklich mit meinen eigenen Händen geschrieben. Das Problem war nur, dass meine Fachaufsicht das nicht akzeptieren wollte. Ich war in dieser Situation einfach ohnmächtig, doch trotzdem musste ich mich rechtfertigen. „Aber Frau Pagel“, stotterte ich, „ich schwöre, dass ich diese Arbeit mit meinen eigenen Gedanken gegliedert und verfasst habe. Die Broschüren habe ich von meinem Mentor von den damaligen Projekten bekommen, bei denen ich mitgemacht habe. Diese haben sich ebenfalls mit dem interreligiösen Dialog sowie mit dem Thema `Partizipation´ beschäftigt.“ Obwohl sie mir offensichtlich keinen Glauben schenkte, fuhr ich fort: „Mein Mentor hat mir nur empfohlen, das alles durchzulesen und dies als Modellprojekt in meiner Arbeit anzuwenden.“
Frau Pagel schaute mich feindselig an. Ihr Blick strahlte Aggressionen aus, die mir Angst einflößten. Wieder drohte sie mir mit diesem wissenschaftlichen Gespräch. Scheinbar war sie sich ganz sicher, dass ich die Arbeit sowieso nicht selbst verfasst hatte.
In diesem Moment wurde mir klar, dass sie mir die Arbeit von vorne herein nicht zugetraut hatte. Niemals würde sie mir Glauben schenken, weil sie sich längst von mir ein fertiges Bild gemacht hatte. Sie hatte mich von Anfang an in eine bestimmte Schublade gesteckt, aus der ich bei ihr nie wieder herauskommen würde.
Ich habe dann lange nachgedacht, habe mich mit guten Freunden unterhalten und auch meinen ehemaligen Mentor noch mal um Rat gefragt. Dann habe ich einen folgenschweren Entschluss gefasst: Ich werde die Schule wechseln. Ich werde mich durch die Vorurteile einer einzelnen Lehrerin nicht entmutigen lassen und einen neuen Anfang machen. Es kann doch eigentlich alles nur besser werden.
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