Unsere Autorin Marie hat selbst einen viereinhalbjährigen Sohn. In diesem Text sinniert sie darüber, wie Kinder uns Erwachsenen die Möglichkeit geben, uns zu verändern oder gar bessere Menschen zu werden – Menschen, die sich mit sich selbst auseinandersetzen, die alte Wunden aufarbeiten statt sie weiterzugeben, und die Gefühle zulassen und tatsächlich fühlen. Was für ein schöner Text! Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
In der aktuellen Corona-Krise kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und die Rate der Kinderpornographie steigt. Das darf nicht so sein, das ist eine Katastrophe.
Auch, wenn ich keine besonders große Reichweite habe, hoffe ich sehr, dass diese Menschen anfangen, ihr Verhalten zu reflektieren, in den Spiegel schauen und überlegen, wieso es jemals dazu gekommen ist.
Es gibt so viele Persönlichkeitsstörungen, psychische Konflikte und emotionale Extreme, die erwachsene Menschen entwickeln können. Es gibt so viele gebrochene Seelen da draußen, die darauf warten, geheilt zu werden, oder sich gerne selbst heilen möchten, aber das Grundproblem gar nicht erkennen.
So gut wie alle sind auf die Kindheit/Jugend zurückzuführen. Ein Bruch im Urvertrauen, zu wenig elterliche Liebe, emotionale Vernachlässigung oder allgemein Vernachlässigung.
Viel zu oft werden Kinder als minderwertige Menschen gesehen, nicht als Vollwertige.
Und gleichzeitig müssen sie mehr leisten und beweisen, als sie vielleicht können. Es sind kleine Kämpfer, die ganz häufig nicht Kind sein dürfen, sondern ein hartes Fell bekommen, um Niederlagen, Verluste von Elternteilen, Strafen und Vernachlässigungen einzustecken.
Und das macht etwas mit ihnen, nach und nach.
Manchmal gibt es Probleme mit dem eigenen Kind, die auf uns selbst zurückzuführen sind. Das Kind badet Dinge aus, die uns gefehlt haben, die wir uns wünschen, ohne zu erkennen, dass uns genau das früher gefehlt hat.
Dem Kind die Schuld geben an Dingen, die man sich aber selbst zu verschulden hat. Von sich auf das Kind projizieren, das Kind als emotionalen Boxsack missbrauchen.
Wir, als Erwachsene, sind in der Lage, zu erkennen, was uns fehlt, wenn wir uns damit befassen.
Und dann können wir etwas ganz Krasses tun: Wir können es aufarbeiten, wir können aktiv dafür sorgen, dass es uns besser geht!
Ist das nicht mega? Wir sind dazu in der Lage!
Wir müssen nicht ewig leiden, wir können etwas tun.
Eine Voraussetzung gibt es aber: Der Wille muss da sein. Wir müssen es wirklich wollen.
Wir können uns eingestehen, dass Eltern nicht perfekt sind.
Auch unsere Eltern sind bestimmt nicht perfekt.
Als Kind hebt man Mama und Papa oft in den Himmel, keiner ist besser als Mama und Papa und sie machen alles richtig. Natürlich ist das so, als Kind hat man auch kaum die Möglichkeit, um Ecken zu denken, abzuwägen, was eventuell nicht gut für uns ist.
Wir glauben Mama und Papa. Alles.
Ich nehme meinen Sohn immer in den Arm, wenn er weint, oder es ihm nicht gut geht.
Aber wenn ich das nicht tun würde, würde er mit 4 ½ Jahren nicht zu mir kommen und sagen: „Mama, wenn ich weine, musst du mich in den Arm nehmen, sonst kann ich eventuell später Folgen davontragen“.
Mein Kind würde sich vielleicht wünschen, dass ich ihn in den Arm nehme, aber mit der Zeit würde er das kompensieren. Und es würde etwas mit ihm machen, dass er nie in den Arm genommen wird. Es würde Folgen haben.
Nichtsdestotrotz bin ich seine Mama und das, was ich mache, wird richtig sein in seinen Kinderaugen.
Dass ihm etwas fehlt, wird, wie gesagt, unbewusst kompensiert.
Es geht hier darum, dass wir unsere Kinder von Geburt an emotional aufladen. Mit Liebe, mit Sicherheit, Vertrauen, Körpernähe und auch Respekt.
Wenn ich keinen Respekt meinem Kind gegenüber hätte, würde ich es wie Müll behandeln. Schubsen, wenn es im Weg steht, beleidigen oder auslachen.
Wir alle waren mal Babys, wir alle standen mal am Anfang unseres Lebens. Jetzt sind wir erwachsen und man respektiert uns (im besten Fall), aber gibt es dafür ein Anfangsalter?
Nein, gibt es nicht.
Respekt als Lebewesen, als Mensch mit Bedürfnissen und Rechten, haben wir, sobald wir anfangen zu leben. Unsere Kinder müssen respektiert werden. Ihre Rechte auf Grenzen, ihre Rechte auf eine eigene Meinung, ihre Rechte auf Freiheit – solange das Leben nicht gefährdet ist, ihr wisst, was ich meine.
Und das ist extrem wichtig, dass unsere Kinder dieses Gefühl bekommen, ein vollwertiger Mensch zu sein, der ernst genommen wird. Nur weil sie kleiner sind als wir, sind sie nicht minderwertiger. Respekt fängt nicht erst ab einem bestimmten Alter an, so ist es einfach.
Wisst ihr, was unsere Kinder uns geben? Etwas sehr Wertvolles: Sie zeigen uns, dass sie angenommen, geliebt und respektiert werden wollen. Sie geben uns die Möglichkeit, in uns zu gehen und uns mit all diesen Dingen auseinanderzusetzen. Wir merken vielleicht, was uns fehlt, was uns in der Kindheit gefehlt hat, wir setzen uns damit auseinander. Vielleicht heilen wir uns sogar, ändern uns, werden bessere Menschen, können mehr fühlen.
Weil unsere Kinder uns in diese Richtung schubsen, indem sie einfach da sind und uns Gefühle in all ihren Facetten zeigen.
Liebe, Trauer, Wut, Stolz, Freude, Enttäuschung etc.
Wenn wir daran nicht interessiert wären, an etwaigen Änderungen unserer eigenen Konflikte, die vielleicht als Folge aus der Kindheit entstanden sind, ist das echt ein Problem, immerhin geht es darum, dass das Kind mit den Werten und Gefühlen aufwächst, die uns vielleicht fehlen.
Niemand ist perfekt, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, sehe ich eine wundervolle, perfekte Zeit, mit den besten Eltern und der tollsten Schwester, die ich mir hätte wünschen können. Ich denke sehr gerne an meine Kindheit zurück.
Nichtsdestotrotz haben sicherlich Werte gefehlt oder es gab Dinge, die mehr im Vordergrund standen, als andere, dass ich hier und da einige eigene Verhaltensweisen entwickelt habe, die mich blockieren, die mich stören und die dafür sorgen, dass ich mich kontraproduktiv verhalte.
Sei es meine Eigenheit, dass ich mich viel zu sehr um Andere kümmere, als um mich selbst, sehr selbstlos bin – oder meine Art, dass ich ganz allergisch darauf reagiere, wenn man mich bevormunden möchte oder für mich redet.
All solche Eigenschaften haben sich irgendwann entwickelt und es ist einfach wichtig, dass wir selbst versuchen, zu erkennen, wenn wir Probleme im Alltag bekommen, wenn unsere Lebensqualität darunter leidet, dass wir so sind, wie wir sind.
Es liegt an uns, uns Hilfe zu suchen, darüber zu reden, oder es selbst anzupacken und egal, wie klein und langwierig die Schritte sind, es SIND SCHRITTE.
Wir werden glücklicher, unsere Kinder werden glücklicher, das Leben wird schöner.
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Liebe Marie,
danke dir für diesen wunderbaren Text! Auch wenn ich noch keine Kinder habe, kann ich viele deiner Gedanken nachempfinden. Besonders wie du beschreibst, dass du dich mehr um andere kümmerst und nicht bevormundet werden möchtest, hat so gewirkt als würde ich in meinem eigenen Tagebuch lesen.
Das Bild des emotionalen Boxsacks ist auch total toll, also im sprachlichen Sinne. Es zeigt die ungezügelte Gewalt, die Kinder leider so oft erfahren.
Ich wünsche dir und deinem Kind alles Gute und freue mich auf weitere Texte! :)