Wir starten in die neue Woche mit einem neuen Text unserer Autor*in Veronika Rieger. Veronika ist selbst nichtbinär und schreibt hier über Sprache, Macht und darüber, wie Personen, die weder Mann noch Frau sind, allzu häufig nur „mitgemeint“ sind — und weshalb das ein Problem ist. Doch nicht nur das: Step by step erklärt Veronika auch noch, wie wir es besser machen können. In diesem Sinne: Liebe Leser*innen, wir wünschen euch viel Spaß bei der Lektüre!
Liebe Schwestern und Brüder, sehr geehrte Damen und Herren, geachtete Leser und Leserinnen…
Diesen Ansprachen fehlt etwas. Vielleicht ist es euch aufgefallen, vielleicht steht euch jetzt ein Fragezeichen im Gesicht. Vielleicht geht es euch auch wie mir. Ich bin nichtbinär und ich bin bei solchen Ansprachen oft nur mitgemeint. Während wir beim Thema gegenderte Sprache, die Frauen inkludiert, in unserer Gesellschaft schon etwas weiter sind, wird selbst im feministischen Diskurs gern vergessen, dass auch weitere Geschlechter außerhalb von Mann und Frau existieren.
Für Menschen, die intersexuell sind oder zu den nichtbinären Geschlechtern (wie beispielsweise agender, genderfluid, demigender usw.) gehören, bleibt oft nur die Möglichkeit mitgemeint zu sein.
Aber mitgemeint ist nicht ausreichend, denn es macht die Menschen unsichtbar, deren Geschlecht ein anderes ist und es vergrößert die Ungleichbehandlung von Menschen nichtmännlicher Geschlechter.
Unsere Sprache ist mächtig, denn sie beeinflusst die Bilder, die wir im Kopf haben und unsere Wahrnehmung der Welt, in der wir leben. Die Verwendung geschlechtersensibler Sprache kann geschlechter-stereotypen Bildern sowie Diskriminierungen und Benachteiligungen entgegenwirken und dabei helfen, Geschlechternormen und Rollendenken zu überwinden. Es gibt zahlreiche Forschungsarbeiten, die belegen, dass die Verwendung von nur männlichen Formen unserer Sprache, also dem generischen Maskulin, Menschen dazu bringt zuerst und vorrangig an Männer zu denken. Bei der Formulierung „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ denken Menschen also primär an männliche Fachpersonen. FINTA (das sind Frauen, Intersexuelle Menschen, nichtbinäre Menschen, Menschen die trans sind und agender Personen), sind zwar „mitgemeint“, sie werden aber tatsächlich meist nicht mitgedacht und fühlen sich oft nicht angesprochen oder ermutigt und fähig dazu z.B. Berufe oder soziale Rollen, die immer als männliche Form erwähnt werden, selbst zu ergreifen.
Um eine gerechtere Behandlung von Menschen aller Geschlechter in dieser Gesellschaft zu erreichen ist es also wichtig auch eine Sprache zu wählen, die alle Menschen mit einschließt und mit darstellt, damit sich unsere Bilder im Kopf und unsere Wahrnehmung der Welt dementsprechend erweitern.
Aber ist das nicht mega umständlich?
Im Gegenteil, es beugt sogar Missverständnissen vor, denn gendergerechte Sprache bezeichnet konkret, wer alles gemeint ist. Es gibt Forschung dazu, die belegt, dass das Textverständnis der Leser*innen nicht leidet, wenn der Text geschlechtergerechte Sprache verwendet. Eine Sprache zu verwenden, die alle Geschlechter mit einschließt, ist leicht zu erlernen und sowohl in schriftlicher als auch mündlicher Form gut machbar.
Aber das verändert doch Sprache künstlich?
Dass Sprache ein festes und beständiges Konstrukt ist, ist eine Fehlannahme, denn unsere Sprache ist ständig im Werden und verändert sich von alleine, dadurch, dass wir sie verwenden. Es entstehen neue Worte, wie beispielsweise durch die Pandemie „zoomen“, „Alltagsmaske“ und schon vorher „hamstern“. Und so wie neue Worte entstehen, verschwinden langsam auch veraltete Worte aus unserem Vokabular, weil sie unsere Lebensrealität nicht mehr widerspiegeln. Oder weißt du noch was „poussieren“ oder „Biedersinn“ bedeuten?
Aber wie viele Menschen betrifft das denn?
Das ist schwer zu sagen, denn eine genaue Erfassung aller Geschlechtsidentitäten gibt es in Deutschland noch nicht. In Deutschland sind geschätzt ungefähr 0,2 % der Einwohner*innen intersexuell, das sind bei 83,02 Millionen Einwohner*innen Deutschlands ungefähr 166 040 Menschen. Um das in eine begreifbare Größe zu setzen: Das ist mehr als zweimal die Allianzarena komplett voll.
Dazu kommen all die Menschen, die zu den nichtbinären Geschlechtern gehören. Im Jahr 2016 gaben 3,3% der 3100 Befragten bei einer Vermächtnisstudie der ZEIT an, „entweder ein anderes Geschlecht zu haben als bei ihrer Geburt zugewiesen oder sich schlicht nicht als weiblich oder männlich zu definieren“ Das sind ca. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland.
Konkrete Zahlen bleiben, solange es keine große Statistik dazu gibt, schwer zu nennen. Deutlich wird aber: Es gibt eine große Gruppe an Menschen, die von einer nur binär gegenderten Sprache, also Sprache, die nur männliche und weibliche Formen verwendet, nicht mit erfasst und erwähnt wird.
Ist das nicht alles nur eine neumodische Phase?
Nein. Menschen, die Geschlechtern außerhalb des Mann – Frau – Spektrums angehören, sind keine “neumodische Erscheinung”, sondern existieren seit jeher in allen Gesellschaften und Kulturkreisen. So gab und gibt es beispielsweise die Baklâ auf den Philippinen, Two Spirit bei der indigenen Bevölkerung Nordamerikas, die Māhū auf Hawaii und noch einige weitere. Transgender Personen sind auch in Mitteleuropa seit der Antike bekannt.
Und wie kann geschlechtersensible Sprache aussehen?
Deine Sprache kannst du zum Beispiel durch das Verwenden eines Gender-Sternchens gendergerecht machen. Du sagst dann „Liebe Leser*innen“. Das Gender-Sternchen zeigt dabei die Vielfalt aller Geschlechter auf.
Auch die Verwendung eines Doppelpunkts ist möglich, also „Liebe Leser:innen“. Der Doppelpunkt kann von einigen Lesehilfen für visuell eingeschränkte Personen besser ausgesprochen werden und ist im Sinne der Inklusion hilfreich, allerdings fühlen sich viele nichtbinäre Personen von ihm nicht gut dargestellt.
Wenn du gegenderte Sprache in der gesprochenen Form verwendest, machst du eine kurze Sprechpause dort, wo der Doppelpunkt oder das Gender-Sternchen steht.
Wenn du lieber kein Sonderzeichen verwenden möchtest, lohnt es sich neutrale Personenbezeichnungen zu verwenden, wie beispielsweise: „Liebe Gäste“, „Liebes Publikum“ „Liebe Mitglieder“ , „Liebe Geschwister“, „Liebe Anwesende“, „medizinisches Fachpersonal“, „Lehrkraft“, usw.
Diese geschlechtsneutralen Formulierungen erfordern manchmal ein bisschen sprachliches Geschick, sind aber auf alle Fälle ein guter Anreiz die eigene Sprache kreativ und vielfältig zu verwenden.
Ich kann mich gut erinnern, als ich gelernt habe zu gendern. Ich saß mit lauter neuen Menschen zusammen und war ein bisschen irritiert und gleichzeitig sehr neugierig, warum diese alle eine Sprechpause machten und darauf achteten, alle in ihrer Sprache mit einzuschließen. Ich dachte eine Weile, dass gendern lernen schwierig ist, aber um ehrlich zu sein, geht es einem nach kürzester Zeit ganz flüssig von der Zunge. Natürlich kann man sich dagegen entscheiden gegenderte Sprache zu verwenden, obwohl sie ein so einfaches und dennoch so hilfreiches Werkzeug ist um Diskriminierung zu verringern und unsere Gesellschaft zum positiven zu verwenden. Aber das zeigt letztendlich mehr die eigene Ignoranz und Faulheit auf, als man vielleicht denkt.
Wenn ich sehe, wie instinktiv und freudig junge Menschen heute an gegenderte Sprache herangehen und sie verwenden, dann freut mich das wahnsinnig und stimmt mich optimistisch. Ich glaube, Pinkstinks haben recht: Die Zeiten gendern sich.
Mehr dazu:
- Mit der Macht der Sprache hat sich auch Pia in ihrem Text für den LizzyNet-Schreibwettbewerb beschäftigt.
- Und in den Kolumnen von Ika erfahrt ihr mehr über das Inter-Sein.