Weißer Mann, wann hast du mich endlich lieb?

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Heute präsentieren wir euch den ersten Beitrag unserer neuen Autorin Lisa Brück – herzlich willkommen bei meinTestgelände! Es ist ein lyrischer Text über weiße Privilegien und Rassismen, der zum Nachdenken und Reflektieren anregt. 

Übrigens: Morgen, am 10. Dezember, ist der Internationale Tag der Menschenrechte. 

Weißer Mann, wann hast du mich endlich lieb?

Wenn sich mein Kleid noch enger an meinen Körper schmiegt, wenn ich nur lächele obwohl mir in deiner Gegenwart nicht danach zumute ist, wenn ich immer hinter statt neben dir steh, kann es sein dass du mein nicht weiß sein für einen Augenblick vergisst?

Wenn ich „zugebe“ gerne in der letzten Reihe zu stehen, wenn du nicht mal mehr merkst ob ich bleib oder geh, wenn ich niemals Schrei nicht mal mehr meine Stimme gegen die Deine Erheb,

Wenn ich meine Rechte vergesse, und für Deine leb

Wenn ich Beleidigungen als Koseworte interpretier, wenn ich keine Zuneigung als deine Art der Zuneigung akzeptier

Sag mir Weißer Mann, wenn ich mich noch ein wenig mehr Reck

Wenn ich mich dir noch ein bisschen entgegenstreck

Wenn ich nicht mehr so laut Fluch

Ist das dann endlich genug?

Wenn ich noch ein bisschen schneller Tanz

Wenn ich nichts besser kann

Wenn ich heller werde

wenn ich mir nicht mehr gleiche

und ich ein bisschen für dich sterbe?

Sag mir weißer Mann,

magst mich du die meinen lieber als Scherben?

Sag, kannst du mich nicht einmal annehmen, trotz deines Zornes mich abseits meiner Wurzeln zu sehen,

Sag mir würde es etwas ändern, wenn es das alles gibt?

Weißer Mann wann hast du mich endlich lieb?

Denn

Ich wollte weiß bleiben

Mich weiß kleiden

Dazugehören

Heißt weiß leben

Weiß verinnerlichen

Weiß einzuverleiben

Unbeschrieben

Ohne schwere

Wie leicht ich

Wie leicht

Mein Leben wäre

Wenn ich keine Farbe hätte

Wenn ich weiß, genug für dich wäre

Wenn ich ein unbeschriebenes Blatt

Für dich

Für euch werde

Wenn ich in meine Einzelteile zerfalle

Wenn ich weiß, werde

Und weiß für dich bleibe

Wenn ich mich in mir zurückziehe

Mich endgültig in einen Kokon verschließ

Wenn ich dir helfe

Wenn du es leicht hast

Wenn ich schweige

Worte der Anklage runterschlucke

Und keine Tränen mehr vergieße

Wenn ich keinen Raum mehr beanspruche

Nur einen  Platz in der Ecke wo du mich nicht sehen musst

Wo du mich vergessen kannst

Du uns nicht Rede und Antwort stehen musst

Sag

Wenn meine Schreie verklingen

Wenn mein Tod keine Nachricht mehr wert ist,

wenn keine Proteste mehr stattfinden

wenn alles was mich ausmacht

nach und nach an Kontur verliert

wenn ich für dich verschwinde

wenn ich keinen deiner Horrorgeschichten mehr entspringe

wenn unsere Lieder unsere Stimmen nur noch leise nachhallen und langsam verklingen

wenn meine Kunst nicht mehr existiert

ich als Kunstwerk

ich als Mensch nicht mehr existier

sag kannst du mich dann endlich akzeptieren

wenn ich vor dir auf die Knie geh

wenn ich dir keine Steine mehr in den Weg leg

wenn ich nicht mehr in deiner Nachbarschaft leb

wenn ich mich nicht mehr unter die deinen beweg

wenn ich mit meinen Händen nicht mehr nach deinen greife

wenn meine Worte keine Wege mehr weisen,

wenn meine Haut endlich deiner gleicht

und mein Schmerz

mein Leid

dass du gesammelt hast wie Briefmarken

Jahrhundertelang

Deinen Gefühlen und Regeln weicht

Sag mir, wenn ich zu nichts werde

Sind wir dann endlich eins?

Sag, kannst du mich nicht einmal annehmen, nicht krampfhaft versuchen meine Wurzeln nicht zu sehen,

Sag mir würde es etwas ändern, wenn es das alles gibt?

Weißer Mann warum hast du mich nicht lieb?

Aber ich weiß

Ich stelle die falschen Fragen

Denn Ich muss nicht sein

Damit du mich akzeptieren kannst

Wer bist du, dass du entscheidest

Wie ich aussehe

Wie mich verhalte

Wie ich rausgehe

Ob ich mich enthalte

Wie ich für mich einstehe

Ob ich zu laut bin

Und alles

Weil ich dir nicht vertraut bin

Nach 400 Jahren

Du mir misstraust

Von Beginn

Du mauerst jeden meiner Wege

Und behauptest dann,

ich habe es mir selbst verbaut

und wenn ich dann durch deine Hände

selbst wenn ich in Zelle 5 einsam sterbe

wird mir nicht geglaubt

Denn Beweise lernen dann plötzlich laufen

Verschwinden

Wenn es um dich geht

Aber bei mir braucht es nicht mal die

Um mich hinter Gitter zu bringen

Ich bin doch schuldig

Auf den Straßen

In den Schulen

An den Kassen

Bevor ich überhaupt ein Schritt

Im Gerichtssaal bin

Es wird immer gefragt, ob wir Waffen besitzen

Aber letztes Jahr im Februar

Konnte sich keiner erklären

Wie jemand anders fast 20 Jahren

Nicht rechtens Waffen besaß

Einzelfälle sagst du

Das wars

Ich werde dir nie gleichen

Denn ich will nicht an Substanz verlieren

Ich werde nie aufhören zu sein,

aber ich hoffe, du wirst in Zukunft aufhören meine Kindes Kinder zu attackieren

Ich werde reden und Worte finden, wo es dir versagt,

ich werde verlernen und weitergeben, dass es nicht an uns liegt oder lag

Denn

Ich sag dir, ich will mich nicht ändern, um dir zu gefallen

Ich hoffe, diese Worte werden in dir nachhallen

Sag mir, würdest du dich ändern,

wenn du es wärst,

wenn dein weiß sein schwerer wiegt?

Weißer Mann

Ich sage

Irgendwann wird es mir egal sein, dass du mich nicht liebst.

Mehr dazu:

Ich heiße Lisa Brück und ich bin 22 Jahre. Ich komme und lebe zurzeit in Duisburg. Ich studiere Soziale Arbeit in Essen und bin seit 2018 als Poetin auf verschiedenen Bühnen und Plattformen unterwegs. Das Schreiben und Auftreten bedeutet mir sehr viel, weil es mir hilft mich auszudrücken, mit anderen Menschen in Kontakt zutreten und für mich essentielle Themen anzusprechen. Meine Text sind oftmals sehr ehrlich, kritisch, nicht selten politisch und trotzdem poetisch.