China im Licht der Öffentlichkeit: Wir, die Guten?

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Leung

Mit den olympischen und paralympischen Spielen stand China im Fokus der Öffentlichkeit. Diskutiert wurde über LGBTIQ*-Feindlichkeit und Rassismus gegen Teile der eigenen Bevölkerung. Gut so, schreibt Mare, aber kein Grund, darüber den Sexismus und Rassismus vor der eigenen Haustür zu übersehen.

Genozid an den Uiguren, der vermeintliche sexuelle Missbrauch an der Tennisspielerin Peng Shuai und generell ein fehlender Respekt gegenüber Menschenrechten – Die Olympiade in China hat die Probleme des Landes in die mediale Öffentlichkeit des sogenannten Westens gerückt. Es ist wichtig, gegen diese Probleme zu protestieren. Gleichzeitig leiden schon seit Beginn der Pandemie chinesische und chinesischstämmige Menschen unter wachsendem anti-chinesischem Rassismus. Wir dürfen in unserer Kritik an China und der dort stattgefundenen Olympiade nicht vergessen, dass die Handlungen einer Regierung nie mit den Meinungen und Handlungen einzelner Personen gleichzusetzen sind.

Dieser Rassismus, Dinge nur schwarz oder weiß sehen zu können, führt auch dazu, dass wir unsere eigenen Probleme herunterspielen. Ein Beispiel: Vielleicht habt ihr das Glück, weniger als ich in sozialen Netzwerken wie Twitter aktiv zu sein. Falls ihr genauso wie ich leider zu viel Zeit dort verbringt, dann kennt ihr diese Diskussion vielleicht auch. Ein neuer Disneyfilm kommt bald raus und das Marketing verkündet stolz, dass schon wieder Disney neue bahnbrechende LGBTIQ*-Repräsentation zeigen wird. Im Endeffekt heißt das, dass sich zwei Frauen für zwei Sekunden im Hintergrund küssen. „Das ist wegen China!“, werden dann Disney-Fans sagen, um das arme milliardenschwere Medienimperium vor genervten Tweets zu verteidigen. „Man kann in China sowas nicht zeigen, deshalb müssen die das so machen, damit man das einfach rausschneiden kann.“

Hat China ein Problem mit Homophobie? Sicherlich. Das darf man auch nicht vergessen, wenn man über diese Diskussion spricht, und viele Gegenreaktionen auf Twitter und co. schlagen über das Ziel hinaus und verleugnen die Existenz davon. Aber gleichzeitig muss man sich fragen, ob ein so einflussreiches und vermögendes Medienmonopol wie Disney nicht in der Lage wäre, mehr Rückgrat zu zeigen. Gleichzeitig hat Disney auch keine reine Weste, was die Unterstützung von LGBTIQ*-Rechten im Westen angeht.1 Wir müssen in der Lage sein können, Homophobie nicht nur als Problem „rückschrittiger“ Länder zu sehen, sonst ist das Homonationalismus2 und Homonationalismus ist immer auch rassistisch.

Natürlich wirkt das Beispiel von Twitterdiskussionen über Disney-Filme banal im Vergleich zu Themen wie Genozid, aber es zeigt ein Muster, dass sich durch unsere öffentlichen Diskussionen zieht: Wir sind die Guten, die anderen sind die Rückständigen und Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben, gibt es bei uns nicht mehr. Die andere Seite, die gegen den Rassismus einstehen will, verleumdet dann häufig in diesen Twitter-Diskussionen die Existenz des ursprünglichen Problems. Aber das hilft natürlich auch niemandem.

Die Olympischen Winterspiele 2022 sind vorbei, die Paralympics auch. Was andauern wird sind die Menschenrechtsverletzungen, unter denen die chinesische Bevölkerung zu leben hat, genauso wie der Rassismus, unter denen chinesische und chinesischstämmige Menschen zu leiden haben. Mit dem Einfall Russlands in der Ukraine gibt es ein neues Nr. 1 Nachrichtenthema, und auch wenn die internationale Solidarität mit der Ukraine gut und richtig ist, dürfen wir nicht vergessen, dass in vielen Fällen die russische Bevölkerung selbst unter ihrer Regierung leidet und Personen keine Schuld dafür haben, in Russland geboren oder russischer Abstammung zu sein.

Bei allem gilt: Wir müssen Nuancen erkennen können. Im Endeffekt sollten wir uns über Diskriminierung, Menschenrechtsverletzungen, Krieg und Genozid empören, weil uns Menschen wichtig sind. Dass wir dabei andere Menschen nicht mit unserem Rassismus unter den Bus werfen, ist fundamental. Und oft müssen wir als Menschen aus Westeuropa auch mal in solchen Diskussionen einen Schritt zurücktreten, um zu hören, was tatsächliche Betroffene zu sagen haben.

Ich bin hier, um mir Frust von der Seele zu schreiben und etwas Liebe zu verbreiten.