6 Monate auf hoher See – so viel mehr als nur eine Segelreise (Teil 3)

2017_08_21
(c) Daniela Costa:  Sea  (CC BY-SA 2.0)

6 Monate hat Clara auf einem Segeschiff verbracht und dabei unterschiedlichste Erfahrungen gemacht. Zwei Teile ihres Reiseberichtes konnten wir bereits lesen, heute folgt der dritte und letzte Teil.

Nächster Stopp: Bermudas. Noch so etwas, wo Leute von zuhause immer nachfragen: „Bermudas? Beim Bermudadreieck? Pass bloß auf dich auf, Clara, nicht, dass ihr untergeht!“ Meine Erfahrungen sagten mir etwas anderes. Ich hatte kein einziges Mal auch nur das kleinste Gefühl, auf der Thor nicht sicher zu sein, auch bei Sturm waren wir schon eine sehr eingespielte Mannschaft. Trotzdem darf man die Gefahren des Meeres natürlich nicht unterschätzen, aber dafür sorgte unser Kapitän.

Wieder auf See fingen alle an, sich in Astronavigation fit zu machen. Die nächste Schiffsübergabe stand bevor. Schiffsübergabe, das heißt, der Segelstamm zieht sich zurück und die Schüler steuern das Schiff. Eingegriffen wird nur in Notsituationen. Dafür werden leitende Positionen von Schülern besetzt, es gab z. B. einen Schülerkapitän, Schülersteuermänner, Schülermaschinisten, Schülerwachführer etc. Dieses Mal gab es jedoch noch eine besondere Herausforderung. Alle elektronischen Geräte wurden abgeklebt und wir mussten uns, anstatt uns auf das GPS-Gerät zu verlassen, mithilfe der Sterne zurechtfinden. Also war vorher fleißig geübt worden, damit man, wie geplant, auf den Bermudas ankam und nicht plötzlich woanders landete. Unsere Schülerschiffsleitung war erstaunlich gut. Unsere errechnete Position nach einigen Tagen war nur sehr knapp an derjenigen vorbei, die das GPS anzeigte. Und wir kamen dementsprechend pünktlich auf den Bermudas an.

Dort war wieder eine Fahrradtour geplant; wie vorher erkannt, ist das eine gute Art, ein neues Land zu entdecken. Wir bewunderten die Landschaft, besonders die für die Bermudas typischen weißen Dächer. Außerdem besuchten wir alle die Hauptstadt Hamilton. Nach ein paar Tagen beendeten wir unseren Aufenthalt mit unserem Abschiedsfoto. Alle trugen „Bermuda-Pullis“, Pullover, die es dort in jedem Geschäft gibt, auf denen groß „Bermudas“ steht. Gedankenverloren blicke ich auf meinen eigenen Bermuda-Pulli. Auch der Landaufenthalt kommt mir schon ewig her vor.

Wir legten ab. Jetzt kam die angeblich stürmischste Etappe, der Weg bis zu den Azoren, einer Inselgruppe, die zu Portugal gehört. Dieses Mal hatten wir jedoch verhältnismäßig Glück, was das Wetter betraf. Ich erinnere mich an einige Tage, an denen ich sogar entspannt an Deck saß, ohne mir Sorgen zu machen, dass ich mich gleich festhalten muss, weil die nächste große Welle kommt. Trotzdem hatten wir natürlich viel Wind, aber das war auch eine besondere Erfahrung, die ich gerne gemacht habe. Wir gingen weiter Wache, hatten Unterricht und es stellte sich wieder der normale Thor-Alltag ein. Wie absurd das klingt. Ich segle auf einem Traditionssegler über den Atlantik und es wird für mich Alltag. Das ist aber definitiv nicht negativ gemeint. Es ist gerade etwas Besonderes, sich auf eben diesem Traditionssegler so heimisch zu fühlen, dass sich eine Art Alltag entwickeln kann. Trotzdem habe ich bis jetzt fast jede Sekunde auf der Thor genossen und wollte das nie gegen meinen Alltag zuhause eintauschen.

Doch auch dieser „Alltag“ währte nicht lange. Bald schon kamen wir auf den Azoren an. Am meisten hat mir der Hafen gefallen. Jedes Schiff, das dort anlegt, darf ein Rechteck auf der Pier bemalen, weshalb es dort von Bildern von Schiffen nur so wimmelt. Ich konnte stundenlang damit verbringen, mit anderen zusammen an der Hafenmauer entlangzulaufen und die unterschiedlich gestalteten Kunstwerke zu betrachten. Ein besonderes Highlight war es natürlich, dass auch wir uns verewigen durften. Nach vielen Ausflügen auf die Insel, die fast alle in einem Café bei heißer Schokolade und Kuchen endeten, und einem Ausflug aus dem Dorf heraus, war der Landaufenthalt wie im Fluge vergangen und schon stand die letzte Etappe vor uns: Azoren – Kiel. Wieder war es Zeit, abzulegen, und der Schiffsalltag stellte sich ein. Wieder bereiteten sich viele auf eine bevorstehende Schiffsübergabe vor. Die letzte ging durch den englischen Kanal und beinhaltete sogar das Ablegen aus Falmouth, unserem Zwischenstopp in England. Also war nicht viel Zeit, die wir jedoch alle noch möglichst genießen wollten. Ich habe viel Zeit unter Deck mit unserem Maschinisten verbracht, um mein selbstgebautes Flaschenschiff fertigzustellen. Das Hobby haben sich einige von unserem Maschinisten abgeschaut. Außerdem begann meine Projektgruppe, der Thor Chor, den „Final Countdown“: Jeden Tag wurde ein Lied für einen von uns vorgestellt, sodass ich sehr mit Sägen, Feilen, Nähen und Lieder schreiben beschäftigt war. Außerdem hatten wir alle das Häkeln entdeckt. Nicht zu glauben, aber es war tatsächlich ein Junge, der angefangen hat, sich mit einer Häkelnadel und Wolle bewaffnet an Deck zu setzen und seine Mützen zu häkeln. Schon bald waren alle angesteckt und wir beschlossen, alle mit selbstgehäkelten Mützen einzulaufen.

Das erinnert mich daran, dass heute unser letzter Tag ist und dass ich gleich Wache habe. Erschrocken schaue ich auf die Uhr. Okay, noch 10 Minuten, noch etwas Zeit für Wachträume. So beschäftigt merkten wir alle gar nicht, wie schnell die Zeit verging und wie bald plötzlich alles zum Ablegen in Falmouth bereitgemacht werden musste. In Falmouth angekommen, fühlten wir uns das erste Mal seit vielen Monaten wieder wie auf typischem europäischem Festland. Die Azoren waren eben noch mitten auf dem Atlantik. Wir gingen viel durch die Stadt, besuchten das Marine Museum und saßen am Hafen. Der nächste deutsche Boden würde schließlich Deutschland sein. Doch eine Sache stand uns vorher noch bevor: Solo. 24 Stunden alleine auf einer Wiese, in denen man sich nur auf sich selbst konzentriert. Ein ganz schöner Kontrast zum Bordleben, bei dem man durchgehend von Menschen umgeben ist und wenig Zeit hat, über sich nachzudenken. Trotzdem gingen die 24 Stunden erstaunlich schnell vorüber. Ich habe viel nachgedacht, geschrieben und einfach auf das Meer hinausgeschaut. Definitiv eine besondere Erfahrung! Ich bin echt gespannt darauf, den Brief in ein paar Jahren zu lesen und zu versuchen, nachzuvollziehen, was ich in dem Moment gedacht habe.

Mit dem Solo war unser Englandaufenthalt beendet und die letzte Schiffsübergabe begann. Dieses Mal hatten wir sogar eine Kapitänin, ein Umstand, der unseren Kapitän besonders freute. Sie und alle anderen machten ihre Aufgabe super und eine knappe Woche später wurde das Schiff in bestem Zustand wieder an den Stamm übergeben. Wir waren so schnell gewesen, dass wir sogar noch ein paar Tage Zeit hatten und für einen Tag nach Helgoland fuhren. Dort wanderten wir und besuchten das große Aquarium. Es kam mir total unwirklich vor, dass wir tatsächlich wieder auf deutschem Boden waren. Und dann ging es nur noch durch den Nord-Ostsee-Kanal und hier bin ich. Gestern Abend war noch das „Captain’s Dinner“, unser Abschiedsessen, bei dem alle Vorräte aufgebraucht werden und die großartige Reise gefeiert wird. Ich kann es nicht glauben, dass es unser letzter Abend auf der Thor war. Heute würde mein letztes Frühstück auf der Thor sein und wir bald wieder bei uns zuhause. Was für eine seltsame Vorstellung!

„Clara! Du hast nur noch 5 Minuten! Zieh dich an, ich möchte pünktlich schlafen können.“ „Mhh“, murmele ich, schüttle kurz den Kopf, um mich aus meinen Träumereien zu lösen und schwinge mich aus der Koje. Gleich beginnt meine letzte Wache, da möchte ich schließlich pünktlich zur Wachübergabe da sein. Ich gehe den altbekannten Gang, den Niedergang hoch und steige auf das Achterdeck. Dort steht der Rest meiner Wache schon und schaut mich abwartend an. Ich nuschele den Wachgruß mit und melde mich, um an das Ruder zu gehen. Die ganze Wache rauscht wie ein Traum an mir vorbei. Ausguck, Wetter, Maschinenronde, noch einmal Ausguck. Und dann wieder: „Gode Ruh!“. Ich lege mich schlafen, in dem Gewissen, dass ich morgen beim Aufstehen das Einlaufen vorbereiten muss. Am liebsten würde ich noch einmal die Reise reflektieren. Aber es ist Viertel nach fünf. Todmüde sinke ich mein Kissen und bin zehn Sekunden später eingeschlafen. Vielleicht träume ich ja von der Reise…

 

Mehr dazu:

  • Hier könnt ihr den ersten Teil von Claras Reisebericht lesen.
  • … und hier den zweiten.

Hallo, ich bin Clara aus Goslar und so viel wie möglich unterwegs. In meinen Artikeln möchte ich meine Erfahrungen, die ich auf verschiedenen Reisen in unterschiedlichen Kulturkreisen gemacht habe, mit euch teilen.